06.12.2022  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl - Die Zahlenkolumne: Handball mit Basketball-„Dreierlinie“: Wie wäre das?

Geht es um Regeländerungen im Handball, wird von Trainern gerne die Wurfuhr aus dem Basketball angeführt. Was wäre aber, wenn die Regelhüter des Handballs eine andere zentrale Regel aus dem Sport mit dem orangenen Leder übernehmen würden, nämlich den Drei-Punkte-Wurf? In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ rechnet Datenanalyst Julian Rux dieses Gedankenspiel durch.

Im Normalfall werden Regeländerungen gemacht, um Sportarten sicherer oder attraktiver zu machen. Teilweise sind die Auswirkungen auch deutlich erkennbar und verändern die Sportart, wie beispielsweise die Änderungen der Anwurfregel um die Jahrtausendwende, die dazu führten, dass das Spiel durch die Schnelle Mitte deutlich schneller wurde. Dies sollte der Attraktivität des Spiels zugutekommen. Die neuen Anwurfregeln, die seit der aktuellen Saison gelten, verstärkten dies noch weiter.

Positiv auf die Attraktivität des Spiels hat sich auch die Drei-Punkte-Linie im Basketball ausgewirkt, die erst in den 70er-Jahren eingeführt wurde. Handball und Basketball waren sich damals also vom Grundprinzip noch ähnlicher als heute.

Mit der Einführung des Drei-Punkte-Wurfs veränderte sich der Basketball dann aber deutlich. Wie gewünscht wurde die Dominanz von großen und sehr athletischen Spielern in Korbnähe zu Gunsten deutlich kleinerer Spieler, deren Stärke der Distanzwurf ist, verringert.

Zwar macht im Handball anders als beim Basketball nicht die Größe der Spieler die Dominanz aus, doch auch im Handball wird (wie damals im Basketball) immer weniger aus der Distanz geworfen, da der Wurf vergleichsweise ineffizient ist. Daher wollen wir nun einmal das Experiment durchspielen: Was wäre, wenn man im Handball ebenfalls der aktuellen Entwicklung entgegenwirken wollen würde und eine Linie einführt, hinter der die Tore mehr zählen?

Die Auswirkungen der „Dreierlinie“ im Handball

Die Veränderungen des Handballspiels an sich wären wohl ähnlich wie beim Basketball. Das Spiel würde deutlich entzerrt werden, wodurch es etwas weniger physisch und körperlich werden würde, was im Handball ja auch eine der Bestrebungen von weiteren Regeländerungen der letzten Jahre war.

Je nachdem wie die Umsetzung der Linie tatsächlich aussieht, wären defensive 6-0-Verteidigungen hingegen kaum noch möglich, da dann der Distanzwurf nicht genug gestört werden könnte. Offensivere 3-2-1- oder 3-3-Verteidigungen wären vermutlich eher sinnvoll, oder eben auch deutlich gegenspielerorientierte Verteidigungen, wie es im Basketball auch am häufigsten gespielt wird.

Die Verteidigung wäre also auf jeden Fall deutlich weniger kompakt und hätte mehr Lücken für Anspiele an den Kreis und Durchbrüche, wodurch mehr Tore fallen würden. Gleichzeitig würden natürlich starke Distanzschützen, wie beispielsweise Simon Jeppsson, erheblich an Bedeutung gewinnen. Außerdem könnte die „Dreierlinie“ auch das von vielen ungeliebte Sieben-gegen-Sechs zurückdrängen, da Empty-Net-Tore eben auch mehr zählen würden.

Das Problem der richtigen Distanz

Doch was wäre im Handball die richtige Distanz für solch eine Linie? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, muss erst einmal geklärt werden, wie viele Punkte oder Tore es für den „Dreier“ im Handball geben sollte. Geht man davon aus, dass ein normales Tor weiterhin einen Punkt gibt, scheinen drei Punkte für einen Distanzwurf deutlich zu hoch. 1,5, also das gleiche Verhältnis wie im Basketball, oder zwei Punkte erscheint da deutlich sinnvoller.

Die einfachste Lösung wäre natürlich die bereits bestehende Neunmeterlinie als Distanzwurflinie heranzuziehen. Betrachtet man die Wurfpositionen aller Würfe (außgenommen Siebenmeter), direkter Freiwürfen und Würfe auf das leere Tor der vergangenen drei Saisons (aus den Spielen, in denen die entsprechenden Daten erfasst wurden), zeigt sich auf den ersten Blick, dass 1,5 Punkte für einen Distanztreffer sogar sehr fair wären.

Denn sowohl für einen Nahdistanzwurf als auch für einen Distanzwurf hätte es dann durchschnittlich 0,65 Punkte gegeben. Bei zwei Punkten für einen Distanzwurf wäre dieser mit 0,87 Punkten pro Wurf deutlich im Vorteil.

Bei Betrachtung der tatsächlichen Trefferquoten nach den Positionen scheint diese Lösung allerdings nicht optimal zu sein. Denn aus zentraler Position ist die Wurfquote aus neun Metern deutlich höher, während auf der Seite die Quote deutlich nach unten geht.

Das Spiel würde sich also zunehmend auf die Mitte konzentriert, da die durchschnittliche Trefferquote dort viel höher ist als von den Seiten. Um das Spiel auf die Außenbahnen zu entzerren, könnte es sinnvoll sein, sich am Basketball zu orientieren und die Linie an den Seiten parallel zur Seitenlinie verlaufen zu lassen.

Möglich wäre natürlich, dass es durch die neue Linie zu einer anderen Wurfauswahl kommen könnte, wie es im Basketball das Aussterben des Mitteldistanzwurfs war. Des Weiteren sind die Wurfpositionen jeweils vom Moment des Wurfes und nicht des Absprungs gemessen. Um das Gedankenspiel nicht zu kompliziert werden zu lassen, wird dies an dieser Stelle daher nicht weiter berücksichtigt.

Eine Möglichkeit wäre es dann die 1,5-Punkte-Linie bei 9,25 Metern zu ziehen, an den Seiten jedoch jeweils mit einem Abstand von 2,75 Metern parallel zu den Seitenlinien verlaufen zu lassen. Bei Würfen aus dem Ein-Punkte-Bereich würden dann durchschnittlich 0,64 Punkte erzielt werden. Bei Abschlüssen hinter der 1,5-Punkte-Linie lag die Trefferquote bei 43,0 %, also 0,65 Punkten pro Wurf. Immerhin 10,8 Prozent aller Würfe wären dann 1,5-Punkte-Würfe gewesen.

1,5 Punkte für ein Tor sind jedoch ein unrunder Wert, runde Zahlen machen hier mehr Sinn. Bei zwei Punkten für ein Tor, müsste die „Zweierlinie“ müsste jedoch deutlich weiter nach hinten. Eine Möglichkeit wäre, die Linie bei 10,5 Metern und 2,5 Metern vom Seitenaus entfernt (also auf der gleichen Höhe wie der Kreis die Grundlinie schneidet) zu ziehen.

Unter diesen Voraussetzungen wäre die Wurfquote hinter der Linie bei 36,3 %, also 0,73 Punkte pro Wurf gelegen. Es waren jedoch nur 1,3 % aller Würfe aus dieser Distanz. Bei Ein-Punkt-Würfen wären es 0,62 Punkte pro Wurf.

Der Distanz-Wurf wäre also sogar etwas wertvoller als der durchschnittliche Nahdistanzwurf, weshalb dieser wiederum enger verteidigt werden würde und es viel mehr Platz geben dürfte. Es waren jedoch nur 1,3 % der betrachteten Würfe aus dieser Zwei-Punkte-Distanz. Handball würde also ein völlig anderes Spiel werden und es wäre extrem schwierig überhaupt noch vernünftig verteidigen zu können.

Das alles zeigt, dass es gar nicht so einfach wäre, die perfekte Linie zu finden. Dafür, dass die Basketballer damals keine solche Daten erfasst haben, haben sie eine durchaus gute Lösung für ihr Spiel gefunden, auch wenn diese aus heutiger Analysten-Sicht nicht optimal ist.

Am Ende ist das Ganze ein sehr spannendes Gedankenspiel, dessen Umsetzung natürlich sehr unrealistisch ist und den Handball wie erwähnt extrem verändern würde. Stattdessen gibt es jedoch einige andere Regeln aus dem Basketball und anderen Sportarten, die im Handball deutlich sinnvoller wären, als den „Dreier“ einzuführen.

Julian Rux ist Datenanalyst. Auf Handballytics.de findet ihr seine neusten Artikel, in denen er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um den Handball analysiert. Ihr findet ihn auch auf Instagram, Facebook und Twitter.