04.10.2023  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Kann Melsungen dieses Jahr wirklich um den Titel mitspielen?

Seit Jahren versucht die MT Melsungen, sich ganz oben in der LIQUI MOLY HBL zu etablieren. Nun steht sie erstmals nach sieben Spieltagen ungeschlagen an der Tabellenspitze. Woran dies liegt und ob die MT tatsächlich um die Meisterschaft mitspielen kann, analysiert Datenanalyst Julian Rux in der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“.

Nicht nur ungeschlagen, sondern auch mit der mit +42 klar besten Tordifferenz der LIQUI MOLY HBL steht die MT Melsungen auf Platz eins. Mit 24,6 Gegentoren pro 50 Ballbesitze stellen die Nordhessen die aktuell beste Verteidigung der Liga. Bereits in der vergangenen Saison war die Defensive ihre große Stärke. Auf 50 Ballbesitze gerechnet, um eine wirkliche Vergleichbarkeit herzustellen, kassierte nur der THW Kiel weniger Gegentore als die 25,6 der MT. 

Großen Anteil an der Defensivstärke hatte Torhüter Nebojša Simić. Der Montenegriner hatte nach Niklas Landin und David Späth mit 34,8 % die drittbeste Paradenquote der „stärksten Liga der Welt“. Auch in der laufenden Saison ist er wieder ein wichtiger Teil der starken Verteidigung des Tabellenführers. Mit 32,0 %  gehaltenen Bällen liegt er momentan auf Rang fünf. Dazu forciert die MT pro 50 Ballbesitze fast zwei gegnerische Ballverluste mehr pro Spiel als in der vergangenen Saison und liegt dort mit 10,8 auf Rang zwei hinter Kiel. 

Stark verbesserter Angriff 

Während sich die Defensive also auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr befindet, ist es der Angriff, der den Unterschied vom Mittelfeld- zum Spitzenteam macht. Vergangene Saison waren lediglich GWD Minden und der ASV Hamm-Westfalen schwächer in der Offensive als die 25,2 Tore pro 50 Ballbesitze des Teams von Roberto García Parrondo. In der aktuellen Spielzeit stellt die MT Melsungen hingegen mit 30,6 Toren pro 50 Ballbesitze hinter den Füchsen Berlin und dem SC Magdeburg den drittbesten Angriff. 

 

Besonders herausragend ist die Verbesserung der Wurfquote im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozentpunkte von 59,4 % auf 71,8 %. Lediglich die Füchse Berlin sind mit 72,4 % hier noch besser. 

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen konnten die Nordhessen, auch wenn sie mit durchschnittlich 35,8 Sekunden weiterhin zu den Teams mit den langsamsten eigenen Ballbesitzen gehören (Rang 16), ihren Anteil sowie ihre Effizienz bei Erste-Welle-Gegenstößen deutlich erhöhen. Vergangene Saison waren sie bei 74,8 % ihrer 3,4 Gegenstöße pro Spiel erfolgreich, nun sind es 80,0 % bei 5,0 Versuchen. 

Zum anderen werfen sie im Positionsangriff aus deutlich kürzerer Distanz (7,1 m statt 7,4 m) sowie aus leicht zentralerer Position (63,2° statt 63,0°). Beides zusammen sind Indikatoren für qualitativ bessere Abschlüsse. 

Dazu scheinen sie sich auch auf den richtigen Positionen passend verändert zu haben. Mit Agustin Casado (17,8 %), Kai Häfner (15,0 %) und André Gomes (10,4 %) haben drei der vier Spieler der MT mit dem höchsten Anteil an abgeschlossenen Angriffen durch Wurf, Ballverlust oder herausgeholten Siebenmetern den Verein verlassen. 

Der Einzige der Top vier, der weiterhin im Kader steht, ist Elvar Örn Jonsson. Trotz leicht gesunkener Einsatzzeit von 43,4 auf 40,0 Minuten wurde seine Verantwortung in der Offensive sogar noch größer. Nach einem Anteil an abgeschlossenen Angriffen von 13,5 % liegt er nun bei 18,8 %, dem Höchstwert des Teams und achthöchsten Wert der gesamten Liga. 

Das entgegengebrachte Vertrauen konnte der Isländer zum einen mit einer mehr als verdoppelten Torausbeute im Vergleich zum Vorjahr (von 3,0 auf 6,2 Tore pro Spiel) bestätigen. Damit ist er aktuell der siebtbeste Torschütze pro Spiel sowie – da alle seine Tore aus dem Feld kamen – der drittbeste Feldtorschütze. 

Zum anderen konnte Jonsson gleichzeitig seine Effizienz von durchschnittlichen 53,8 % auf für einen Rückraumspieler herausragende 71,2 % steigern. Damit liegt er bei der Feldwurfquote unter allen 42 Rückraumspielern mit mindestens fünf Feldwürfen pro Spiel auf dem zweiten Rang hinter Mathias Gidsel. Knapp folgt auf Rang drei Jonsons neuer Teamkollege Dainis Kristopans, der gemeinsam mit dem zweiten Rückraum-Neuzugang  Erik Balenciaga, der mit 49,1 Minuten pro Spiel der Rückraumspieler mit der zweithöchsten Einsatzzeit ist, ebenfalls großen Anteil am Aufschwung der MT hat. 

Ein bisher eher leichter Spielplan 

Bei allen Verbesserungen muss allerdings berücksichtigt werden, dass der bisherige Spielplan der Melsunger nicht besonders schwierig war. Nach der einfachsten Methodik zur Bestimmung der Stärke des bisherigen Spielplans, bei der die durchschnittliche Anzahl an Punkten der bisherigen Gegner verglichen wird, hatten nur drei Teams einen einfacheren Spielplan zum Start als die MT. 

Beim mathematisch etwas weiterentwickelten Ansatz, der auch noch die Siegquote der jeweiligen Gegner der Gegner berücksichtigt, kommt die MT auf den sechsteinfachsten Spielplan. Nach der Berechnung nach der durchschnittlichen Tordifferenz der Gegner aus Toren und Gegentore je 50 Ballbesitze hatten ebenfalls nur fünf Teams einen einfacheren bisherigen Spielplan. 

Von den Top5-Teams der vergangenen Saison mussten sie bisher auch nur gegen den aktuell nicht auf Vorjahresniveau spielenden THW Kiel antreten. Ob die Mannschaft von Roberto García Parrondo also wirklich zu den Titelkandidaten gehört, muss sie erst noch gegen die restlichen Spitzenteams unter Beweis stellen. Dass sie zumindest das Saisonziel „internationaler Startplatz“ endlich erreichen kann steht bei den starken Statistiken zu Saisonbeginn aber außer Frage. 

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