17.03.2021  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Was den SCM zum Team der Stunde macht

Der SC Magdeburg ist das Team der Stunde in der LIQUI MOLY HBL. Nach Startschwierigkeiten zum Saisonbeginn mit vier Niederlagen in den ersten acht Spielen, ist der SCM mittlerweile seit elf Partien ungeschlagen. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Handball-Blogger Julian Rux, was sich beim SCM im Vergleich zum Saisonstart verändert hat und was sie aktuell so stark macht.

Zu Saisonbeginn lief es nicht wirklich rund für den SC Magdeburg. Drei seiner ersten vier Heimspiele verlor der in den Vorjahren zuhause fast unschlagbare Traditionsverein. So viele Niederlagen gab zuhause in den vergangenen fünf Jahren lediglich in der Saison 2018/19, damals allerdings in der gesamten Saison. Die Pandemie hatte dem SCM seine vielleicht größte Stärke geraubt, den Heimvorteil. So standen Ende November nach acht Saisonspielen lediglich acht Punkte auf dem Konto.

Doch ab Dezember zeigte die Formkurve dann deutlich nach oben. Seither wurde kein einziges Spiel mehr verloren. Mittlerweile stehen die Grün-Roten auf Platz zwei in der Tabelle. Was hat sich beim SCM verändert, dass sie wieder zu alter Stärke zurückgefunden haben?

Weniger Gegentore und verbesserte Keeper

Der beste und fairste Weg Teams zu vergleichen, ist über Statistiken pro Angriff beziehungsweise zur besseren Darstellung pro 50 Angriffe. Denn so können die zwangsweise höheren Zahlen von schnell spielenden Teams, die mehr Angriffe pro Spiel haben und damit mehr Abschlüsse generieren, fair mit langsam spielenden Teams, die entsprechend deutlich weniger Angriffe und damit niedrigere Werte aufweisen, verglichen werden.

In der Abwehr war der SC Magdeburg im Oktober und November mit 26,3 Gegentoren pro 50 gegnerischen Angriffen auf einem, trotz der durchwachsenen Ergebnisse, ordentlichen fünften Platz. Doch der reine Platz trügt hier etwas. Zahlreiche Teams waren praktisch auf dem gleichen Niveau. Der Abstand zur viertschwächsten Abwehr (Nordhorn-Lingen 28,2) war geringer als zur besten (Rhein-Neckar Löwen, 24,1).

Seit Dezember hat sich die Deckung jedoch leicht verbessert. Nur noch 24,7 Gegentore müssen die Magdeburger pro 50 Angriffen hinnehmen. Dies ist der drittbeste Wert in dieser Zeitspanne. Besser sind nur noch der THW Kiel (22,9) und der Bergische HC (24,3).

Noch mehr Einfluss hat jedoch die gesunkene gegnerische Wurfquote. In den ersten beiden Saisonmonaten lag sie noch bei 63,8 %, dem drittschwächsten Wert der LIQUI MOLY HBL. Seit Dezember sind es nur noch 60,0 %, der siebtbeste Wert.

Die gegnerische Wurfquote steht natürlich in engem Zusammenhang mit den Torhüterleistungen. Bei der Paradenquote ist dieselbe Entwicklung zu erkennen. In den ersten acht Saisonspielen hielten Jannick Green und Tobias Thulin lediglich 26,3 % der Bälle. Seit Dezember sind es starke 32,0 %.

Sowohl die bessere Verteidigung als auch die stärkeren Torhüterleistungen haben also einen wichtigen Beitrag zum Aufschwung geleistet. Noch entscheidender für die tabellarische Aufholjagd waren aber die Veränderungen in der Offensive.

Die Offensive dreht auf

Denn im Angriff war die Verbesserung deutlich größer. Im Oktober und November erzielte der SCM lediglich 27,9 Tore pro 50 Angriffe, was knapp über dem Ligaschnitt liegt. Seither sind es jedoch 31,2, der beste Wert der Liga.

Der entscheidende Faktor für diesen Anstieg ist die deutlich verbesserte Wurfquote. 63,9 % seiner Würfe traf das Team von Bennet Wiegert in den ersten beiden Saisonmonaten, was leicht über dem Ligaschnitt liegt. Seit Dezember liegt die Wurfquote bei überragenden 71,3 %, dem mit Abstand besten Wert der Liga.

Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass es hierfür zwei Gründe gibt. Zum einen haben sich die Wurfquoten des SCM auf allen Positionen verbessert. Zum anderen haben sie es aber auch geschafft, ihren Anteil hochprozentiger Würfe noch weiter zu steigern.

Letzteres ist besonders auf den noch stärkeren Fokus auf Bennet Wiegerts Spielphilosophie zurückzuführen. Der Trainer des SCM setzt eben nicht auf die klassischen Rückraumshooter, sondern viel mehr auf das Eins-gegen-Eins seiner Rückraumspieler, um so hochprozentigere Würfe aus sechs Metern und über die Außen zu generieren.

Seit Wiegert Trainer bei seinem Heimatverein ist, gehören die Grün-Roten zu den Teams der LIQUI MOLY HBL mit den meisten Abschlüssen aus diesen beiden Positionen - und mit den wenigsten aus neun Metern. Auch in der aktuellen Spielzeit wirft kein anderes Team so häufig von außen und so wenig aus dem Rückraum.

Weniger ist manchmal mehr

Es mag paradox klingen, doch diese positive Entwicklung wurde auch vom Ausfall von Michael Damgaard, dem Top-Torjäger des SCM in den vergangenen Jahren, begünstigt. Besonders Christian O’Sullivan, aber auch Gísli Kristjánsson, die mittlerweile anstelle des Dänen im linken Rückraum spielen, treffen nicht nur hochprozentiger, sondern passen von ihrer Wurfauswahl auch sehr gut zum Spielstil von Wiegert.

Denn Damgaard ist mit einem Anteil von 57,2 % neben Christoph Steinert der einzige Rückraumspieler des SCM, bei dem über die Hälfte der Würfe aus dem Feld (also ohne Siebenmeter) auch aus dem Rückraum kommen. Bei O’Sullivan (37,7 %) und Kristjánsson (46,7 %) sind diese Anteile deutlich geringer, was auch ein Grund für die besseren Wurfquoten ist.

Noch geringer ist dieser Anteil bei Marko Bezjak. Lediglich 13,3 % seiner Würfe kommen auch tatsächlich aus dem Rückraum. Gleichzeitig hat der Kroate mit überragenden 75,0 % die beste Wurfquote aller Rückraumspieler mit mindestens einem Wurf pro Spiel und mindestens der Hälfte aller möglichen Spiele.

Ebenfalls essenziell für die starke Offensive ist der Neuzugang Ómar Ingi Magnússon. Neben seiner Qualität als Rückraumspieler ist der Isländer besonders als Siebenmeterschütze extrem wichtig. In der vergangenen Spielzeit waren die Magdeburger vom Siebenmeterstrich mit einer Erfolgsquote von lediglich 65,8 % die schwächste Mannschaft der Liga. In dieser Saison sind sie mit einer Siebenmeter-Trefferquote von 75,0 % im Oktober und November seit Dezember sogar bei sehr starken 82,5 %.

Neben den Wurfquoten sind bei dem auf Eins-gegen-Eins und Durchbrüche ausgelegten Spielstil besonders die wenigen Ballverluste der Magdeburger beeindruckend. Zwar sind diese von 7,8 pro 50 Angriffen in den ersten beiden Saisonmonaten leicht auf 8,7 angestiegen, doch weniger technische Fehler begingen jeweils nur der THW Kiel und die SG Flensburg-Handewitt. Dies spricht ebenfalls für die hohe Spielintelligenz der Rückraumspieler Magdeburgs.

Innovator und Erfolgsgarant Bennet Wiegert

Kurz vor dem Start in die aktuelle Saison der LIQUI MOLY HBL war Bennet Wiegert bei Hand aufs Harz zu Gast. Dort sprach er auch über seine Spielphilosophie und dass diese aufgrund des bewussten Verzichts auf die klassischen zwei Meter großen Rückraumspieler für manchen Zuschauer vielleicht ungewohnt sei. Er sehe seinen Spielstil aber als modern und erfolgsorientiert. Dies unterstützt er mit akribischen und detaillierten Video-Analysen.

Der Erfolg mit zwei dritten Plätzen in Folge sowie aktuell dem zweiten Platz (auch wenn Kiel weniger Minuspunkte hat) in der stärksten Liga der Welt sprechen für Wiegert und den Weg, den der SCM eingeschlagen hat. Aus Zahlen-Sicht macht seine Philosophie auch sehr viel Sinn. Der verstärkte Fokus darauf sorgt bei den Magdeburgern auch in der aktuellen Saison wieder für einen Wettbewerbsvorteil.

Dass es dabei auch Kritik gibt, ist bei innovativen Trainern im Profisport, die mit Altem brechen und auf neue, effizientere Philosophien setzen, üblich. Dies bekamen beispielsweise Ralf Rangnick im Fußball mit der Einführung der Raumdeckung oder Mike D‘Antoni im Basketball mit seiner „Pace-and-Space“-Angriffsphilosophie ebenfalls deutlich zu spüren.

Doch ihre Ansätze setzten sich durch, revolutionierten die jeweilige Sportart und sind heute zentrale Aspekte dieser.

Julian Rux ist Gründer von Handballytics.de – Handball in Zahlen. Dort analysiert er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um Handball. Ihr findet ihn auch auf InstagramFacebook und Twitter.