10.12.2020  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Spielintelligenz, Heimvorteil und das Effizienz-/Effektivitäts-Dilemma

Nach rund einem Viertel der Saison wird nicht nur die Tabelle, sondern werden auch die statistischen Erkenntnisse der Spielzeit 2020/21 immer aussagekräftiger. In „ÜberZahl“ wirft Handball-Blogger Julian Rux einen ganz genauen Blick auf die Zahlen in der LIQUI MOLY HBL.

Die Idee, sich mit der Zuhilfenahme und Auswertung von Daten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten, etablierte sich im Profisport zu Beginn der 2000er-Jahre und hier ganz besonders im Baseball. Die Sportart erlebte dadurch eine grundlegen Revolution, da sich datenbasierte Ansätze im Vergleich zu alten Denk- und Handlungsweisen als deutlich erfolgreicher herausstellten. Das ging sogar so weit, dass der Stoff in dem Hollywood-Blockbuster „Moneyball“ mit Brad Pitt in der Hauptrolle verfilmt wurde.

Die Daten-Revolution machte auch vor anderen Sportarten nicht Halt. Auch im Handball sind ähnliche Entwicklungen zu erkennen und nehmen in der LIQUI MOLY HBL durch die eingeführte Tracking-Technologie von Kinexon weiter Fahrt auf. Folgende Erkenntnisse stechen für die bisherige Saison 2020/21 besonders hervor:

1. Die Teams in der LIQUI MOLY HBL spielen immer cleverer

Der statistisch gesehen ineffizienteste Wurf im Handball ist (abgesehen vom direkten Freiwurf) der Rückraumwurf. Betrachtet man die Erfolgsquote der vergangenen drei Jahre, lag die Trefferquote aus dem Rückraum in der LIQUI MOLY HBL bei 43,1 Prozent. Die Erfolgswahrscheinlichkeit aller anderen Würfe lag mit 60,5 % jedoch deutlich höher. Es zeigt sich also eindeutig, dass eine Mannschaft erfolgreicher ist, je geringer der Anteil der Abschlüsse aus dem Rückraum ausfällt.

Genau diese Entwicklung ist in der LIQUI MOLY HBL zu beobachten. Nur noch 31,0 % aller Abschlüsse in der aktuellen Saison kommen aus dem Rückraum. 2017/18 lag diese Quote noch bei 36,3 %. Die immer besser werdende Wurfauswahl ist auch der Hauptgrund dafür, dass die Wurfquote insgesamt kontinuierlich angestiegen ist. In der aktuellen Saison liegt diese zwar minimal unter der Vorsaison, doch der Vergleich wird durch die beiden Aufsteiger und fehlende Absteiger etwas verzerrt. Ohne die Aufsteiger wäre die Wurfquote auf 62,2 % angestiegen.

2. Der schwindende Heimvorteil

Die Stimmung in den normalerweise vollen Hallen der LIQUI MOLY HBL ist nicht nur einmalig, sondern hat auch entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse. Denn normalerweise gewann in den vergangenen Jahren deutlich häufiger das Heimteam als das Auswärtsteam. Doch mit den Zuschauern ist in der Pandemie-Saison 2020/21 auch der Heimvorteil zurück gegangen. Nur noch in 53,0 % aller Partien war am Ende der Gastgeber erfolgreich. Berücksichtigt man nur Spiele, die komplett ohne Zuschauer stattgefunden haben, dann waren die Heim- und Auswärtssiegquote (53,3 % bzw. 38,3 %) in den letzten zehn Jahren nur einmal so eng beieinander. Bis vor einer Woche war der Unterschied sogar auf gerade einmal 4 % zusammengeschrumpft (46,9 % vs. 42,9 %).

So gab es diese Saison bereits zahlreiche Überraschungen. Gilt der SC Magdeburg eigentlich als schier unschlagbare Heimmacht, wurden 2020/21 jedoch drei der ersten vier Heimspiele verloren. So oft unterlag der SCM zuhause in den vergangenen fünf Jahren lediglich 2018/19, damals allerdings in der gesamten Saison. Der normalerweise eher auswärtsschwache HBW Balingen-Weilstetten hat hingegen in der aktuellen Spielzeit bereits drei Mal in fremder Halle gewonnen. Das war den Schwaben in ihren 13 Erstligajahren noch nie zuvor gelungen.

3. Das Effizienz-/Effektivitäts-Dilemma

Eine Statistik, die immer und jeden interessiert, ist die Frage nach dem besten Torschützen der Liga. Wie in allen Aspekten des Spiels reicht es hier jedoch nicht unbedingt, nur einen Blick auf die reine Anzahl der erzielten Tore zu werfen, sondern nach Effizienz und Effektivität zu unterscheiden. Diese beiden Begriffe werden umgangssprachlich gerne synonym verwendet, tatsächlich gibt es jedoch große Unterschiede.

Der effektivste Feldspieler der Liga ist aktuell Noah Beyer von TUSEM Essen. Zwar führt Robert Weber die Torschützenliste der LIQUI MOLY HBL mit 84 Toren an, aufgrund der unterschiedlichen Anzahl an absolvierten Spielen macht es jedoch Sinn, hierbei auf die Tore pro Spiel zu schauen. Da liegt Weber mit 7,6 Toren knapp hinter Beyer mit 7,7.

Damit ist er jedoch nicht auch automatisch der effizienteste Spieler der stärksten Liga der Welt. Denn in diesem Fall ist die Quote der erfolgreichen Abschlüsse ausschlaggebend. Hier führen die Liga aktuell 20 Spieler mit einer hundertprozentigen Wurfquote an. Von diesen hat jedoch keiner mehr als 1,4 Tore pro Spiel erzielt. Sie sind also effizient, jedoch alles andere als effektiv.

Im Optimalfall vereint ein Spieler also beide Eigenschaften, ist sowohl effektiv als auch effizient. Hier hat nun doch Robert Weber die Nase vorne. Der Rechtsaußen der HSG Nordhorn-Lingen erzielte seine 7,6 Tore pro Spiel mit einer Wurfquote von 76,4 %. So effizient zeigte sich kein anderer Spieler mit über zehn Würfen pro Spiel.

Die starke Performance von Weber quittierten die Fans mit seiner Wahl zum „DKB Spieler des Monats Oktober“. Die Auswahl der zur Abstimmung stehenden Spieler wurde im Vorfeld anhand des neuen „Handball Performance Index“ bestimmt. Wenig überraschend lag Weber auf seiner Position unangefochten auf Platz 1, berücksichtigt der HPI bei der Bewertung doch sowohl die Effizienz als auch die Effektivität eines Spielers.

Julian Rux ist Gründer von Handballytics.de – Handball in Zahlen. Dort analysiert er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um Handball. Ihr findet ihn auch auf Instagram, Facebook und Twitter.