Marcel Schiller: Harry Potter, Kobe Bryant, Andreas Wolff

Lukas schläft grundsätzlich durch. Das kann man von Klein-Maximilian noch nicht erwarten, er ist schließlich erst einen Monat alt. Marcel Schiller (29) ist sein Papa – und schläft auch durch. Denn Sohnemann Maximilian ist weit weg, zuhause in Schwaben.

Lukas Stutzke (23) ist hingegen Schillers Zimmer-Kollege im wahrlich luxuriösen 5-Sterne-Hotelpalast Al Masah Palace New Capital, 60 Kilometer vom Zentrum der ägyptischen Hauptstadt Kairo entfernt. Stutzke bekommt das mit dem Einschlafen schon prima alleine hin. Es sei denn, er ärgert sich zu sehr über die Play-Station-Qualitäten von Mitbewohner Schiller. Der gewinnt nämlich meistens die Duelle in der virtuellen Wirklichkeit. „Und wenn ich ihn doch mal habe, dann sieht er es meist nicht ein“, sagt Stutzke und lacht.

Schiller hört zu und lacht auch. Der Linksaußen von FRISCH AUF Göppingen spielt in Ägypten seine erste WM und hat bereits 18 Turniertreffer erzielt.

Daher hat Klein-Maximilian allen Grund stolz auf seinen Papa auf Dienstreise zu sein. WM-Debütant Schiller spielt bisher eine starke Weltmeisterschaft. Das mag diejenigen überraschen, die sich etwas weniger mit Handball beschäftigen. Unzählige HBL-Kenner und vor allem auch Bundestrainer Alfred Gislason überrascht es nicht. Es gehörte zu den ersten Amtshandlungen des erfahrenen Isländers, Schiller mit Blick auf die WM in den Kader aufzunehmen (Gislasons Vorgänger Christian Prokop hatte ihn erstmals 2017 nominiert). Und zwar nicht als Pausenfüller, wenn DHB-Kapitän und Stamm-Linksaußen Uwe Gensheimer mal aussetzen will. Nein, als echte interne Konkurrenz zu dem Mann, der aktuell zu der knappen Handvoll anerkannt bester Linksaußen im Welthandball zählt.

Für Göppingens Trainer Hartmut Mayerhoffer ist diese Nominierung und Einordnung die logische Folge von Schillers Leistungen im Verein: „Marcel spielt seit Jahren konstant auf gutem Niveau und gehört immer zu unseren verlässlichsten Spielern und Torschützen. Er hat sich die Nominierung und Teilnahme verdient." Seit er 2013 vom TV 1983 Neuhausen zu FRISCH AUF! wechselte, gehörte er jedes Jahr zu den besten Torjägern der Liga.

Wie geht das? „Ich bin ein unglaublicher Kopfmensch, was mir auch schon Sorgen bereitet hat. Ich mache mir oft selbst zu viel Druck“, räumt Schiller ein. Aber er sagt auch: „Ich bin ruhiger geworden, auch durch die Geburt meiner Kinder. Und ich habe gute Nerven. Ob in der ersten Minute oder in der letzten Sekunde eines Spiels, ich habe nie Angst zu werfen.“ Neben Maximilian haben Marcel Schiller und seine Ehefrau Dorothee mit Leonard noch einen zweijährigen Sohn.

Diese Nervenstärke ist ein zentrales Element im Auftreten von Schiller als Handball-Profi. Weil er grundsätzlich cool bleibt, ist er im Klub als Siebenmeter-Schütze gesetzt. Cool blieb er bisher auch in Ägypten, verwandelte elf von 13 Siebenmetern.

Ende des vergangenen Jahres war Schiller noch zur häuslichen Quarantäne verdonnert, weil beim Göppinger Gegner MT Melsungen Coronafälle aufgetreten waren. Als Familienvater zuhause? In der kalten Jahreszeit? Das kann zum Müßiggang, zum Nachlassen verführen. Aber nicht einen Marcel Schiller. Er trainierte alleine, lief regelmäßig, hielt sein Fitness-Level. Davon profitierte er in der WM-Vorbereitung ebenso wie in den ersten WM-Partien. Er hat sich ein sehr gutes Standing im Team erarbeitet.

Linksaußen im deutschen Handball – die haben oft etwas Besonderes. Stefan Kretzschmar war einst der erste „Handball-Punk“, ein Revoluzzer in Spielweise, Optik und Ausdruck. Uwe Gensheimer verfügt über ein Handgelenk, das im Welthandball vermutlich einmalig elastisch ist. Deshalb gelingen ihm – und nur ihm – Würfe, die den Gesetzen der Physik zu widersprechen scheinen.

Marcel Schiller ist anders. Weniger spektakulär, aber enorm effektiv. Ein Ergebnis-Spieler. Und das nicht nur auf der Play-Station und im Handball – wie der Blick auf das erste von vier Geheimnissen des Marcel Schiller verrät.

1) Spielen, lesen, schauen – Harry Potter muss es sein

„Ich bin ein riesiger Harry-Potter-Fan“, verrät Schiller. Er hat alle Bücher mit den Abenteuern des englischen Zauber-Kindes gelesen. Alle Filme hat er auch gesehen: „Mehrfach!“ Damit nicht genug. Das Brettspiel zur Harry-Potter-Reihe spielt er auch ständig. Im Teambus von FRISCH AUF! auf Auswärts-Fahrt („damit haben wir schon Stunden verbracht“), aber auch daheim.

2) Gleiche Trikot-Nummer wie Vorbild Kobe Bryant

Marcel Schiller trägt bei FRISCH AUF! die Rückennummer 24. Mit Absicht. Denn Kobe Bryant, einer der besten Basketballer aller Zeiten, trug sie auch. Schiller bewunderte immer „diesen Killerinstinkt“ von Bryant. Die Ikone der Los Angeles Lakers verstarb am 26. Januar vergangenen Jahres bei einem Hubschrauber-Absturz.

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3) Er könnte auch zum Medizin-Tross des DHB gehören

Zufall? Marcel Schiller ist relativ selten schwerer verletzt. Das kann auch daran liegen, dass er seinen eigenen Körper besonders gut kennt und einschätzen kann. Denn Schiller ist gelernter Physiotherapeut.

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4) Schlüsselerlebnis in Jugend – gegen Andi Wolff

In der Jugend trat Schiller mit seinem TV Neuhausen/Erms im Finale um die deutsche A-Junioren-Meisterschaft gegen den TV Kirchzell an. Dort im Tor: sein aktueller DHB-Teamkollege Andi Wolff! Ausgerechnet gegen ihn verwandelte Schiller den entscheidenden Siebenmeter. Dabei hatte er im Halbfinale noch zwei Siebenmeter vergeben. Schiller leitet bis heute seine Nervenstärke davon ab, dass er damals gegen Wolff cool geblieben war.

Marcel Schiller im Steckbrief

Position: Linksaußen
Verein: FRISCH AUF! Göppingen
Titel: EHF-Pokal 2016 und 2017
Geburtstag: 15. August 1991
Nationalität: Deutschland
Größe: 1,89 Meter
Bisherige Vereine: TV 1893 Neuhausen