23.11.2023  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Wie Nicolej Krickau die SG Flensburg-Handewitt verändert hat

Mit Nicolej Krickau verpflichtete die SG Flensburg-Handewitt nach der Trennung vom langjährigen Trainer Maik Machulla einen bereits in Dänemark sehr erfolgreichen Trainer. Wie er sein neues Team verändert hat und wo die entscheidenden Stellschrauben liegen, um ganz vorne anzugreifen, analysiert Datenanalyst Julian Rux in der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“.

Nachdem die vergangene Saison für die SG Flensburg-Handewitt nicht wie gewünscht verlief, besetzten die Norddeutschen nicht nur die Trainerposition neu, sondern bauten auch ihren Kader deutlich um.  

In der laufenden Spielzeit wurden beispielsweise 34,3 % aller Tore von Neuzugängen erzielt, außerdem entfallen 27,7 % aller Einsatzminuten auf Neuzugänge. Abgesehen von den beiden Aufsteigern ist dies der zweit- beziehungsweise vierthöchste Wert in der LIQUI MOLY HBL. 

 

Dabei ließen besonders die Verpflichtungen von Champions League-Sieger Kay Smits und EHF Excellence Awards MVP Simon Pytlick aufhorchen und machten den deutschen Meister von 2017/18 und 2018/19 direkt wieder zu einem der Top-Kandidaten auf den Meistertitel. Zwar läuft die aktuelle Saison mit drei Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze noch nicht perfekt, doch in 22 ausstehenden Spielen ist noch mehr als genug Zeit dies aufzuholen. 

Die beiden Star-Neuzugänge Pytlick und Smits wurden direkt zu den wichtigsten Spielern des Angriffs der Norddeutschen. Ihre offensive Verantwortung (Anteil an allen Feldwürfen, Ballverlusten und herausgeholten Siebenmetern bei Spielen, bei denen sie im Kader standen) ist mit 20,8 % beziehungsweise 18,8 % deutlich vor den 11,7 % des intern drittplatzierten Lasse Møller. 

Starke Defensive 

Doch das Prunkstück von Krickaus neuer Mannschaft ist nicht der Angriff, sondern weiterhin die Verteidigung. Zwar mussten auch hier mit Lukas Jørgensen und Blaž Blagotinšek, die mit Johannes Golla im Innenblock verteidigen, zwei extrem wichtige Spieler neu integriert werden, mit lediglich 25,3 Gegentoren pro 50 Ballbesitze stellen sie jedoch trotzdem die beste Defensive der Liga. Im Vergleich zur Vorsaison, als sie hinter dem THW Kiel und der MT Melsungen die drittbeste Verteidigung hatten, bedeutet dies allerdings nur eine Steigerung um 0,3. Jedoch konnten sich auch insgesamt nur drei andere Teams im Vergleich zum Vorjahr verbessern. Keines davon war vergangene Saison annähernd so gut wie die SG. 

Großen Anteil an den guten Defensivwerten hat wieder das Torhüterduo aus Kevin Møller und Benjamin Buric. Gemeinsam parieren sie 31,6 % aller Bälle auf ihr Tor. Die hier erstplatzierten Rhein-Neckar Löwen sind lediglich in der zweiten Nachkommastelle besser. 

Auf den ersten Platz kommt das dänisch-bosnische Torhütergespann jedoch mit 27,5 % bei der sogenannten Netto-Paradenquote, bei der nur Paraden, aus denen ein Ballbesitz für die eigene Mannschaft hervorgeht, zählen. Insgesamt sticht besonders Møller heraus, der mit 35,3 % die beste Paradenquote sowie mit 32,2 % die mit Abstand beste Netto-Paradenquote der Liga hat. 

Die Torhüter werden hierbei auch tatkräftig von der restlichen Hintermannschaft unterstützt, die im Positionsangriff Würfe aus einer durchschnittlichen Distanz von 7,4 Metern, dem dritthöchsten Wert, zulässt. Dazu verursachen lediglich die Füchse Berlin (2,0) weniger Siebenmeter als die 2,7 der Flensburger. 

Während sie bei den Torhütern auch im Vorjahr mit einer gesamten Paradenquote von 33,2 % sowie einer Netto-Paradenquote von 28,7 % sogar noch leicht bessere Zahlen aufweisen konnten, sind es vor allem die gegnerischen Ballverluste, bei denen die SG unter Krickau einen großen Sprung gemacht hat.  

In der vergangenen Saison verloren nur die Gegner des ASV Hamm-Westfalen (7,9) pro 50 Ballbesitze seltener den Ball als die SG (8,0). Momentan liegt Flensburg mit 10,0 Ballgewinnen – was eine Steigerung um 25,0 % bedeutet - auf dem vierten Rang der gesamten Liga. Dies ist wiederum der erste Baustein von Krickaus Angriffsphilophie. 

Volles Tempo im Angriff

Als Nicolej Krickau vor Saisonbeginn gefragt wurde, wie er mit seiner neuen Mannschaft spielen möchte, antwortete er unter anderem mit „schnell“. Dies war wenig verwunderlich, denn bereits in der vergangenen Spielzeit der Champions League hatte das von ihm trainierte GOG die zweitkürzesten eigenen Ballbesitze sowie die zweitmeisten Ballbesitze pro Spiel. 

Mit der SG kommt er aktuell auf ähnliche Zahlen. Mit 30,9 Sekunden pro Ballbesitz haben die Flensburger nach dem VfL Gummersbach (29,8) die kürzesten Ballbesitze. Was die Geschwindigkeit des gesamten Spiels angeht, liegen sie mit 55,3 Ballbesitzen pro Spiel sogar auf dem ersten Platz. Unter Machulla sah dies noch anders aus. Ab der Saison 2018/19 gehörten sie in jeder Saison zu den fünf Teams mit den wenigsten Ballbesitzen pro Spiel, also den langsamsten Spielen. 

Die Idee hinter Krickaus Spielidee ist klar: Es sollen so gute Abschlusschancen entstehen, die eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit aufweisen. Erste-Welle-Gegenstöße werden beispielsweise in der aktuellen Spielzeit ligaweit zu 78,0 % verwandelt, so hoch wie keine andere Abschlussart. Hierbei ist die SG jedoch mit 4,3 Versuchen pro Spiel sowie einer Erfolgsquote von 76,9 % beide Male nur leicht unter dem Durchschnitt. 

Insgesamt scheint die Angriffsphilosophie Krickaus noch nicht ganz zu fruchten, denn seine Mannschaft stellt mit 28,3 Toren pro 50 Ballbesitze nur den achtbesten Angriff. Mit 65,7 % haben sie die fünftbeste Wurfquote, 9,2 Ballverluste pro 50 Ballbesitze bedeuten hingegen nur den neuntbesten Wert der LIQUI MOLY HBL. Dazu kommt allerdings auch noch Pech, denn lediglich nach 15,3 % ihrer nicht erfolgreichen Abschlüsse landen die Bälle wieder in den Reihen der SG. Nur zwei Teams kommen auf niedrigere Werte. 

In der vergangenen Saison lief es offensiv mit 29,4 Toren pro 50 Ballbesitze (Platz 4) noch etwas besser für Johannes Golla und seine Mannschaftskameraden. Sie hatten sogar eine etwas schwächere Wurfquote (64,5 %), dafür jedoch weniger Ballverluste (7,9 pro 50 Ballbesitze) sowie vor allem mehr Glück, denn 21,4 % ihrer vergebenen Abschlüsse landeten wieder in ihren Reihen, was der zweithöchste Wert war. 

Um also in der aktuellen Saison wirklich um den Titel mitzuspielen, gibt es ein paar Stellschrauben für die SG im Angriff, dazu benötigen sie aber auch einfach eine Prise mehr Glück. 

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Foto: Klahn