15.06.2023  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlenkolumne: Warum und wie der THW Kiel Meister wurde

Zum 23. Mal ist der THW Kiel Deutscher Meister geworden. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Datenanalyst Julian Rux wie die Zebras sich in der abgelaufenen Spielzeit gegen die Konkurrenz durchsetzen konnte.

Die alte Sportweisheit „Offense wins games, defense wins championships“ hat – auch wenn dies in der Vergangenheit in der LIQUI MOLY HBL nicht immer der Fall war – in dieser Saison wieder einmal gepasst. Denn mit lediglich 24,8 Gegentoren pro 50 Ballbesitze stellte der THW Kiel die beste Verteidigung seit Jahren.

Das letzte Mal, dass Abwehrreihen auf bessere Werte kamen, war in der Saison 2018/19 der Fall. Damals kassierten sowohl der THW Kiel als auch die SG Flensburg-Handewitt lediglich 23,5 Gegentore pro 50 Ballbesitze.

Herausragende Torhüter - schwierige Winkel

Interessanterweise beendete der THW in nur wenigen der detaillierteren Defensivkategorien die Saison ganz vorne an der Spitze, dafür jedoch überall unter den Top drei. Mit 10,1 gegnerischen Ballverlusten pro 50 Ballbesitze erzwangen die Norddeutschen hinter der TSV Hannover-Burgdorf (10,2) die zweitmeisten Ballverluste. Dazu kam das Team von Filip Jicha nach 84,0 % der gegnerischen Fehlwürfe in Ballbesitz, was nach GWD Minden (85,8 %) ebenfalls der zweitbeste Wert ist.

Beim einflussreichsten Faktor der Defensivleistung, der gegnerischen Wurfquote landeten sie mit 58,0 % auf dem dritten Platz hinter Flensburg (56,4 %) und der MT Melsungen (57,6 %). Aus dem Feld lagen sie mit 57,0 % hinter den Flensburgern (55,4 %) sogar auf Rang zwei.

Tatsächlich auf dem ersten Rang landeten sie jedoch bei den Torhütern. Mit 35,3 % parierte kein anderes Torhüter-Gespann so viele Bälle wie die Kieler. Auch aus dem Feld waren sie mit 36,2 % das beste Team.

Besonders stach dabei natürlich wieder Niklas Landin heraus. Der zweifache Welthandballer war in seiner letzten Saison in der stärksten Liga der Welt einmal mehr der beste Torhüter der Liga. 37,4 % aller Bälle auf sein Tor parierte der Däne. Aus dem Feld kam er auf eine Paradenquote von 38,1 %. Dazu war er mit 26,4 % auch bei den gehaltenen Siebenmetern auf Rang vier. Aber auch sein Ersatzmann Tomáš Mrkva spielte eine gute Saison. Er kam insgesamt auf 30,6 % gehaltene Würfe auf sein Tor (Rang 11).

Dabei kommt Landin auch die defensive Philosophie von Jicha zu Gute. Zwar dürfen die Gegner aus kurzer Distanz werfen, durchschnittlich waren es 7,0 Meter (ohne Siebenmeter, direkte Freiwürfe und Erste-Welle-Gegenstöße), so wenig wie bei den Gegnern keines anderen Teams. Doch gleichzeitig ist der durchschnittliche Winkel zur nächsten Grundlinie mit 57.6° Abstand der kleinste. Die Gegner dürfen also aus der Nähe werfen, aber eben nur von außen, wo wiederum Landin stark ist.

Leichtes Verbesserungspotential bei der Wurfquote - gute Winkel

Aber auch im Angriff können sich die Zahlen der Kieler sehen lassen. 29,6 Tore pro 50 Ballbesitze erzielten sie, was hinter dem SC Magdeburg (30,6) der zweitbeste Wert war. Doch der Meister der vorherigen Saison hatte deutliche Probleme in der Defensive und lag dort mit 26,8 Gegentoren pro 50 Ballbesitzen lediglich auf Rang sieben.

Während der THW mit 7,3 Ballverlusten pro 50 Ballbesitzen hier sogar auf dem ersten Rang lag, reichte es bei der Wurfquote immerhin für Platz vier. Auf dem ersten Platz war hier mit 68,7 % klar der SC Magdeburg, was nach 69,6 % die das Team von Bennet Wiegert im Vorjahr erreichte die vermutlich zweitbeste Wurfquote aller Zeiten war. (Daten liegen erst seit 2014/15 vor, doch da die Wurfquoten seither deutlich gestiegen sind dürften diese Werte auch zuvor nicht erreicht worden sein.) Auf Rang zwei und drei liegen die Rhein-Neckar Löwen (66,7 %) und die Füchse Berlin (66,2 %).

Interessant ist dabei, dass die drei Teams mit den besten Wurfquoten auch die Teams mit der durchschnittlich kürzesten Wurfdistanz mit jeweils 7,0 Metern (ohne Siebenmeter, direkte Freiwürfe und Erste-Welle-Gegenstöße) waren. Der THW Kiel war mit 7,4 Metern hierbei am anderen Ende des Spektrums. Nur der ASV Hamm-Westfalen, FRISCH AUF! Göppingen (beide ebenfalls 7,4 Meter mit leicht höheren Nachkommastellen) und GWD Minden (7,5 Meter) warfen aus noch leicht größerer Distanz.

Dafür kamen die Würfe des THW aus so zentraler Position wie von keinem anderen Team. Durchschnittlich war der Winkel zur nächsten Grundlinie bei den Würfen des Meisters 64,5°, was klar der Höchstwert der Liga war. Im Angriff ist also die Philosophie genau gegenteilig von der Defensive.

Bester Torschütze pro Spiel beim THW war wie bereits in den vergangenen fünf Spielzeiten Niclas Ekberg mit 4,2 Toren pro Spiel, so wenig wie zuletzt vor sechs Jahren. Am erfolgreichsten aus dem Feld war zum dritten Mal in Folge – also in jeder seiner Saisons an der Kieler Förde - Sander Sagosen mit 4,1 Feldtoren pro Spiel.

Sagosens Feldwurfquote war mit 65,2 % um beinahe sieben Prozentpunkte besser als sein bisheriger Bestwert. Unter allen Rückraumspielern mit mindestens fünf Feldwürfen pro Spiel hatten diese Saison lediglich Gisli Kristjansson (70,7 %), Mathias Gidsel (67,8 %) sowie Mohamed Amine Darmoul (67,0%) eine höhere Feldwurfquote.

Am Ende zeigt der Titelgewinn des THW wieder einmal eindeutig, dass man nicht jede statistische Kategorie dominieren muss, da das praktisch unmöglich ist. Der THW befindet sich aber in zahlreichen und durchaus entscheidenden Statistiken in der Spitzengruppe.

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