
Doppelte Standortbestimmung und einige Fragezeichen für die DHB-Auswahl
Zweimal gegen den Afrikameister zur Einstimmung auf und als Bewährungsprobe für die Heim-EM: Seit vergangenen Sonntag hat Bundestrainer Alfred Gislason die Nationalmannschaft in München versammelt, wo am Sonntag der „Tag des Handballs“ gefeiert wird. Als Ouvertüre für Kapitän Johannes Golla & Co. steht bereits am Freitag (18.30 Uhr, live auf Sport 1) das „Hinspiel“ gegen Ägypten in Neu-Ulm auf dem Programm. Zwei Tage später (17.15 Uhr, live im ZDF) ist das „Rückspiel“ der Höhepunkt in der Münchener Olympiahalle.
Nach rund einem Drittel der Saison der LIQUI MOLY HBL beklagt Gislason einige Absagen. Konzept und Kader musste der Isländer ändern. Neben den langzeitverletzten Füchsen Paul Drux und Fabian Wiede fallen auch zwei weitere Spielmacher aus: Luca Witzke (SC DHfK Leipzig) und Marian Michalczik (TSV Hannover-Burgdorf), zudem dessen Teamkamerad und U21-Weltmeister Justus Fischer. Und so erhält ein anderer U21-Weltmeister die Chance: Nils Lichtlein, ebenfalls Füchse Berlin, ist neben Torwart David Späth (Rhein-Neckar Löwen) und Linksaußen Tim Nothdurft (Bergischer HC) potenzieller Debütant im 18er-Kader für die beiden Ägypten-Länderspiele.
Späth, wie Lichtlein im All-Star-Team der U21-Weltmeisterschaft, soll das Torwart-Duo mit Rückkehrer Silvio Heinevetter (TVB Stuttgart) bilden, möglich scheint aber auch, dass die reguläre Nummer 1, Andreas Wolff (Industria Kielce/POL), nach seiner Bandscheibenverletzung zumindest sporadisch eingesetzt werden kann. Eigentlich sollte Wolff im Kreis der Nationalmannschaft sein Reha-Programm fortsetzen. Sollte er spielen können, wäre es Wolffs erster Einsatz in der Saison 2023/24. Der Europameisterschaftsheld von 2016 ist der einzige aktuelle Nationalspieler, der nicht für einen HBL-Klub aufläuft.
„Wir haben trotz der Absagen immer noch eine gute Mannschaft und sind konkurrenzfähig. Alle, die hier sind, brennen darauf, für Deutschland zu spielen. Aber ich bin auch gespannt, was kommt gegen Ägypten“, sagt Gislason, der sein Team zuletzt Ende April bei den abschließenden Partien im EHF EURO-Cup (Niederlage in Schweden, Sieg gegen Spanien) gesehen hatte. Mit dem Doppelpack gegen Ägypten startet die Vorbereitung auf die Heim-EM (10. bis 28. Januar 2024) in die heiße Phase. Danach stehen im Januar nur noch zwei finale Tests gegen Portugal auf dem Programm. „Gegen Ägypten wird das Fundament für die EURO errichtet“, hatte Gislason schon im Sommer gesagt.
Während Drux definitiv für die EM abgesagt hat und es für Wiede eng bis Januar wird, hat Gislason die Hoffnung, dass die übrigen aktuell angeschlagenen Spieler zurückkommen können. „Leider haben wir ein bisschen Pech mit Verletzungen. Es ist schade, dass der eine oder andere wichtige Spieler nicht dabei ist. Ich kenne das nicht anders, seit ich Bundestrainer bin. Wir hatten das anders geplant. Jetzt müssen wir aus der Not eine Tugend machen. Wir wollen uns trotz der Probleme weiter für die EM einspielen“, sagt der Bundestrainer.
Dabei geht es wie schon im EHF EURO Cup zuvor gegen einen Gegner auf Augenhöhe. Denn die Erfolge der Ägypter sprechen für sich. Achter bei der WM 2019, bei der Heim-WM 2021 nur hauchdünn nach Siebenmeterwerfen im Viertelfinale am späteren Weltmeister Dänemark gescheitert und am Ende Siebter geworden. Wenige Monate später folgte der bislang größte Coup mit der Halbfinalteilnahme bei den Olympischen Spielen von Tokio, als man im Viertelfinale die deutsche Mannschaft mit 31:26 bezwang, am Ende als Vierter aber eine Medaille verpasste – nach Niederlagen gegen den späteren Olympiasieger Frankreich im Halbfinale und gegen Spanien im Spiel um Platz drei.
Bei der WM im Januar 2023 schaffte Ägypten erneut den Einzug ins Viertelfinale, verlor dieses aber gegen Gastgeber Schweden. In der anschließenden Platzierungsrunde nahm die DHB-Auswahl Revanche für die Niederlage von Tokio und setzte sich mit 35:34 nach Verlängerung durch. Deutschland wurde Fünfter, Ägypten Siebter.
Trainiert werden die Ägypter seit dem Frühjahr vom Spanier Juan Carlos Pastor, der sein Heimatland 2005 zum WM-Titel geführt hatte. Er war auf Roberto Parrondo gefolgt, der seither ausschließlich die MT Melsungen trainiert. Im Kader steht in Balingens Torwart Mohamed Eltayar auch ein HBL-Spieler. Viele seiner Teamkameraden spielen bei europäischen Topklubs wie Veszprem oder Dinamo Bukarest. „Ägypten hat ein Top-Team und wird uns alles abverlangen. Das wird eine gute Standortbestimmung“, meint Bundestrainer Gislason.
Auf deutscher Seite ist die wohl spannendste Frage, ob und wie Nils Lichtlein nach seinen zuletzt überragenden Leistungen in der LIQUI MOLY HBL sowie der European League auftritt. „Mit der Nominierung zur A-Nationalmannschaft geht ein Traum für mich in Erfüllung“, sagt der Linkshänder. Generell verfügt die deutsche Mannschaft in der aktuellen Konstellation mit den 21-jährigen Lichtlein und Renars Uscins sowie den 23-jährigen Julian Köster und Juri Knorr über einen extrem jungen Rückraum, der sich aber auch international schon zu überzeugen wusste. „Die Mannschaft hat viel Talent. Aber von der Erfahrung her sind wir ganz weit weg von Teams wie Spanien oder Frankreich“, meint Gislason.
Beim Tag des Handballs im EM-Spielort München werden die über 10.000 Fans nicht nur die Livepremiere des EM-Songs „Celebration“ von Culcha Candela erleben, sondern auch zwei weitere Länderspiele: Um 12 Uhr trifft die weibliche U18 auf die Türkei, um 14.30 Uhr, geht es für die DHB-Frauen im letzten WM-Test auf deutschem Boden gegen Ungarn.
Foto: Klahn