09.09.2021  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl – Die Zahlen-Kolumne: Warum Stuttgart, Minden, Wetzlar und Kiel sich neu erfinden könnten

Endlich ist es so weit: Die Saison 2021/22 der LIQUI MOLY HBL beginnt! In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ blickt Handball-Blogger Julian Rux auf vier Fragen zu vier Teams, die sich aufgrund der Veränderungen im Kader oder auf der Trainerbank stellen. Besonders interessant wird es demnach in Stuttgart, Minden, Wetzlar und beim deutschen Meister.

Ein völlig anderer Spielstil in Stuttgart?

Unter Trainer Jürgen Schweickart stand der TVB Stuttgart in den vergangenen Spielzeiten - zumindest was die Wurfauswahl angeht - für „Old School“-Handball. Kein Team warf so häufig aus dem Rückraum wie die Schwaben. 40,2 % ihrer Abschlüsse kamen in der vergangenen Saison aus rund neun Metern, so hoch war der Wert bei keinem anderen Team.

Mit Roi Sánchez haben die Bittenfelder nun einen Trainer verpflichtet, der für die spanische Handballschule steht. Das bedeutet unter anderem deutlich weniger Würfe aus dem Rückraum und qualitativ hochwertige Abschlüsse über den Kreis. Aus rund sechs Metern kamen in der vergangenen Saison noch lediglich 28,7 % ihrer Abschlüsse, der niedrigste Wert der Liga.

Darüber hinaus steht Sanchez auch für Tempohandball. Im Podcast „Kreis Ab“ erzählte der Spanier, dass seine Mannschaft in Barcelona rund 58 bis 60 Ballbesitze pro Spiel hatte. Der TVB war mit immerhin 51,6 Ballbesitzen pro Spiel schon in der vergangenen Saison das „drittschnellste“ Team der Liga.

Da die Anzahl der Ballbesitze natürlich auch vom gegnerischen Team beeinflusst wird, kann kaum erwartet werden, dass die Schwaben nächste Saison so schnell wie die zweite Mannschaft des FC Barcelona spielen. Dass es aber zumindest schneller wird, als in der vergangenen Saison, sollte nicht verwundern.

Verderben zu viele Köche den Brei in Kiel?

Ohne Neuzugang startet der THW Kiel in die neue Saison. Trotzdem dürfte besonders der Angriff des Titelverteidigers etwas anders aussehen als in der vergangenen Saison. Denn mit Nikola Bilyk kehrt nach einem Jahr verletzungsbedingter Pause der beste Feldtorschütze (2019/20: 3,5 Tore pro Spiel) der Zebras zurück.

Sowohl in der letzten als auch der vorletzten Spielzeit stellte der THW mit 30,7 bzw. 31,4 Toren pro 50 Ballbesitze den besten Angriff der Liga. In der vergangenen Saison wurde allerdings schnell Star-Neuzugang Sander Sagosen Dreh- und Angelpunkt des Meister-Angriffs. Für 17,4 % der Abschlüsse der Kieler – mit Abstand teaminterner Höchstwert - war der Norweger durch einen Feldwurf oder herausgeholten Siebenmeter verantwortlich.

Bei den ganzen Stars des Titelverteidigers stellt sich natürlich die Frage, ob ein weiterer Top-Spieler problemlos integriert werden kann oder ob zu viele Köche den Brei verderben. Doch bei der Spielintelligenz von Sagosen, Duvnjak und Co. sowie der hohen Belastung durch die vielen Spiele, sollte dies eigentlich kein Problem werden. Denn Sagosen war schon in der vergangenen Saison der zweitbeste Vorlagengeber der Liga (4,3 pro Spiel) und ein weiterer wurfstarker Spieler an seiner Seite sollte dem Norweger sogar helfen, seine eigene Effizienz nach weiter nach oben zu schrauben. Der Angriff des Meisters könnte also sogar noch besser werden.

Kann Minden trotz der vielen Zu- und Abgänge seinen Angriff wieder auf ein besseres Niveau heben?

Von Luxusproblemen wie in Kiel kann der TSV GWD Minden nur träumen. Die Ostwestfalen hatten in der vergangenen Saison mit nur 24,9 Toren pro 50 Ballbesitze die schwächste Offensive der gesamten Liga. Den Klassenerhalt schafften sie aufgrund ihrer Verteidigung. Mit nur 26,5 Gegentoren pro 50 Ballbesitze war diese wiederum die achtbeste der Liga.

Die Wurfquote der Ostwestfalen war mit 55,5 % sogar mit Abstand die schlechteste der Liga. Allerdings hat mit Christoffer Rambo nun der Spieler mit dem größten Einfluss auf den Angriff von GWD das Team verlassen. 23,2 % aller Angriffe der Mindener beendete er durch einen Feldwurf oder herausgeholten Siebenmeter (Höchstwert unter allen Ligaspielern). Dabei war er allerdings nicht sonderlich effizient, was sich auch auf das gesamte Team auswirkte. Lediglich 46,9 % seiner Würfe traf der Norweger, der viertschlechteste Wert unter allen 100 Spielern mit mindestens 3,5 Würfen pro Spiel.

Zudem haben mit Juri Knorr und Kevin Gulliksen auch der zweit- und vierteinflussreichste Angriffsspieler Minden verlassen. Frank Carstens hat also alle Hände voll zu tun, um den Angriff neu aufzustellen. Sollte die Defensive weiterhin so gut funktionieren wie im vergangenen Jahr, könnte eine leichte Verbesserung im Angriff zum erneuten Klassenerhalt reichen. Aufgrund der großen Fluktuation wird dies jedoch alles andere als einfach.

Wird Wetzlar das „langsamste“ Team der Liga?

Die Eulen Ludwigshafen waren unter Trainer Ben Matschke vor allem für eins bekannt: Den langsamsten Handball der LIQUI MOLY HBL. Nur 47,8 Ballbesitze pro Spiel hatten sie in der vergangenen Saison. Für Underdogs ist dies aus Zahlen-Sicht auch tatsächlich eine empfehlenswerte Herangehensweise, auch wenn die Eulen in der vergangenen Saison trotzdem abgestiegen sind.

Matschke bleibt aber weiterhin erstklassig, da er neuer Cheftrainer der HSG Wetzlar wurde.  Und zumindest was die Spielgeschwindigkeit angeht, scheinen die Mittelhessen das perfekte Team für den 39-Jährigen zu sein. Denn sie waren mit 49,6 Ballbesitzen pro Spiel das „zweitlangsamste“ Team der Liga.

Seine grundlegende Spielphilosophie wird Matschke mit Sicherheit auf sein neues Team anpassen. Denn gegen den Großteil der Liga geht sein Team jetzt nicht mehr als klarer Außenseiter ins Spiel. Doch, dass die HSG plötzlich für extremen Tempo-Handball stehen wird, kann man wohl ausschließen.

Julian Rux ist Datenanalyst und Gründer von Handballytics.de. Dort analysiert er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um Handball. Ihr findet ihn auch auf Instagram, Facebook und Twitter.