21.04.2021  LIQUI MOLY HBL

ÜberZahl - Die Zahlenkolumne: Die Crunchtime-Champions

Die „Crunchtime“ ist die entscheidende Phase eines Spiels. Jede einzelne Aktion kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Helden werden in diesen Minuten geboren. Besonders stark präsentierte sich hier in letzter Zeit FRISCH AUF! Göppingen, die gleich mehrmals Spiele in den letzten Sekunden für sich entschieden. In der neuen Ausgabe von „ÜberZahl“ analysiert Handball-Blogger Julian Rux, welches Team in der Crunchtime die besten Nerven beweist und ob die Göppinger zu den Spitzenteams gezählt werden können.

Um zu bestimmen, wer in der Crunchtime am besten istmuss erst einmal der Begriff „Crunchtime“ definiert werden. Denn eine allgemeingültige Auffassung davon gibt es nicht. Teilweise werden schon die letzten 15 Minuten vor dem Spielende so bezeichnet, manchmal auch erst die letzten drei. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Spielstand. Meist muss die Tordifferenz zwischen den beiden Teams eng sein, mitunter wird diese jedoch auch gar nicht berücksichtigt. 

Im Folgenden wurde deshalb ein Mittelweg gewählt. Berücksichtigt wurden die letzten sechs Minuten aller Spiele, wenn innerhalb dieser der Abstand zwischen beiden Teams mindestens einmal zwei oder weniger Tore betragen hat. Demnach gingen 107 der 245 Spiele in der aktuellen Saison (43,7 %) in die Crunchtime. Dies zeigt eindrucksvoll die Ausgeglichenheit der stärksten Liga der Welt. 

Die Chrunchtime-Dauerbrenner

Der Eindruck, dass fast jedes Spiel von FRISCH AUF! in der Schlussphase entschieden wird, trügt definitiv nicht. 15 ihrer 24 Spiele gingen in die CrunchtimeDies bedeutet einen Anteil von 62,5 %, dem höchsten Wert der LIQUI MOLY HBL. Von den letzten sieben Spielen war sogar lediglich der Sieg gegen die TSV Hannover-Burgdorf nicht bis in die letzten Minuten richtig spannend. 

Deutlich entspannter können zum Beispiel die Fans des THW Kiel die letzten Minuten ihrer Zebras genießen. Beim THW ist der Crunchtime-Anteil mit 21,7 % der geringste der LigaNur etwas höher fällt die Quote bei Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt (34,8 %) aus. 

Die beiden besten Teams der Liga schaffen es also, gar nicht erst eine Crunchtime zuzulassen. Ein Spiel hat zwar 60 Minutendie beiden Nordklubs haben ihre Partien jedoch meist schon in den ersten 54 Minuten entschieden. 

Auch in der Crunchtime-Tabelle sind die Spitzenteams vorne

ssen die beiden Spitzenteams dennoch in die Crunchtime, sind sie trotzdem kaum zu schlagenFlensburg ist hier sogar noch ungeschlagen, lediglich zwei Unentschieden verhindern die perfekte Bilanz. Trotzdem führen sie mit 14:2 Punkten, also 1,8 Punkten pro Crunchtime-Spiel auch hier die Tabelle an. Kiel liegt mit 1,4 Punkten auf Platz drei, unter anderem weil sie sich kürzlich im Nordderby in der entscheidenden Phase geschlagen geben mussten. 

Zwischen den beiden Teams aus Schleswig-Holstein findet man FRISCH AUF! Göppingen mit 1,6 Punkten pro Crunchtime-Spiel. Das Team von Hartmut Mayerhoffer muss also nicht nur am häufigsten in die entscheidende Spielphase, sondern kommt damit auch ausgesprochen gut zurecht. Diese außergewöhnliche Nervenstärke bis zur letzten Sekunde ist in der aktuellen Saison einer der Hauptgründe für das starke Abschneiden des Teams vom Fuß des Hohenstaufen.

Auch zuletzt gegen die HSG Nordhorn-Lingen rettete FRISCH AUF! in letzter Sekunde noch einen Punkt, und das, obwohl hier zwei absolute Crunchtime-Spezialisten aufeinandertrafen. Das Team von Daniel Kubes ist nämlich ebenfalls richtig stark in der Crunchtime1,3 Punkte pro Spiel sind mit Abstand der beste Wert unter den Teams aus dem TabellenkellerAllerdings haben es die Nordhorner auch nur in neun von 26 Spielen in die Crunchtime geschafft. 

Auch individuell überzeugen die Göppinger

Besonders im Angriff überzeugt FRISCH AUF! Göppingen in den spielentscheidenden Minuten. 35,2 Tore pro 50 Crunchtime-Ballbesitze ist nicht nur eiüberragender Wert, sondern auch der beste der Liga, noch vor Flensburg. 

Einen sehr großen Anteil daran haben die beiden Nationalspieler Marcel Schiller und Sebastian Heymann. Schiller führt nicht nur die Torschützenliste der LIQUI MOLY HBL an, sondern sorgt auch für die spielentscheidenden Treffer. Mit 0,93 Toren pro Crunchtime ist er der beste Crunchtime-Torjäger. (Auf ein ganzes Spiel hochgerechnet wären das beeindruckende 9,3 Tore pro Spiel.) 

Dabei überzeugt der Linksaußen mit starken Trefferquoten. 82,4 % seiner Crunchtime-Würfe zappeln im Netz, darunter beeindruckende sieben getroffene Siebenmeter ohne einen Fehlwurf. Dies stellte er auch am Sonntag gegen Nordhorn wieder eindrucksvoll unter Beweis, als er nach drei verworfenen Siebenmetern in der Crunchtime ein viertes Mal antrat und eiskalt verwandelte. 

Heymann ist mit 0,73 Toren auf Platz zehn der besten Crunchtime-Torjäger und somit der zweitbeste Torschütze der Göppinger. Im Gegensatz zu Schiller schafft er dies jedoch ohne Siebenmeter. Besonders im Gedächtnis geblieben sind dabei seine beiden siegbringenden Würfe gegen die Rhein-Neckar Löwen und die HSG Wetzlar. Doch auch so ist der linke Rückraumspieler in der entscheidenden Phase der Dreh- und Angelpunkt seines Teams. 

Dabei trifft er seine Würfe mit einer überragenden Wurfquote von 78,6 %. Besser ist unter allen Spielern mit mindestens neun Crunchtime-Würfen aus dem Feld lediglich Lukas Binder vom SC DHfK Leipzig mit 88,9 %. Es ist die hohe Kunst im Profisport, unter hohem Druck auch auf eine hohe Effizienz zu kommen. Diese beherrscht Heymann ausgezeichnet. 

FRISCH AUF! Göppingen kann in der Crunchtime also tatsächlich auf alle Arten überzeugen. Zwar müssen die Göppinger deutlich öfter in die Crunchtime als die absoluten Spitzenteams, doch dafür haben sie in Marcel Schiller und Sebastian Heymann zwei absolute Spezialisten in ihren Reihen, die die Kohlen für ihr Team aus dem Feuer holen.

Julian Rux ist Gründer von Handballytics.de – Handball in Zahlen. Dort analysiert er aus neuen, datenbasierten Blickwinkeln alle möglichen Themen rund um Handball. Ihr findet ihn auch auf Instagram, Facebook und Twitter.