28.01.2020  Handball Europameisterschaft

Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann nach der EM: „Wir stehen vor riesigen Möglichkeiten“

Am Sonntag endete die Handball-Europameisterschaft mit dem neuerlichen Triumph von Titelverteidiger Spanien. Das Team siegte in Stockholm gegen Kroatien mit 22:20. Der kroatische Kapitän Domagoj Duvnjak vom THW Kiel wurde zum besten Spieler des Turniers gekürt. Norwegens Superstar Sander Sagosen wechselt zur kommenden Saison auch zum THW in die LIQUI MOLY HBL. Die deutsche Nationalmannschaft darf sich derweil nicht lange über Platz 5 grämen. Vom 17. - 19. April steht für sie in Berlin die Olympia-Qualifikation an, da geht es gegen den EM-Vierten Slowenien, Schweden und Algerien. Die ersten beiden dieser vier Teams sind bei Olympia dabei. Frank Bohmann, der Geschäftsführer der LIQUI MOLY HBL, zieht in diesem Gespräch sein EM-Resümee und gibt Ausblick auf die kommenden Aufgaben und Chancen für den deutschen Handball.

Herr Bohmann, wie fällt Ihre EM-Bilanz aus Sicht des deutschen Handballs und der LIQUI MOLY HBL aus?

Frank Bohmann: In vielen Bereichen haben wir große Fortschritte gemacht. Eine Kernfrage ist dabei für mich: Wie haben wir die Menschen erreicht und wie haben wir Handball dargestellt? In der Liveberichterstattung haben ARD und ZDF eine hervorragende Arbeit abgeliefert und insbesondere im Abendprogramm die TV-Reichweiten dominiert. Selbst in den jungen Zielgruppen haben Sendungen wie das Dschungelcamp keine Chance gegen Handball gehabt. Neue digitale Medienformate, insbesondere von DHB und LIQUI MOLY HBL, aber auch von vielen anderen Anbietern, haben Millionen von Menschen Zugang zum Handball geschaffen. In Deutschland wurde morgens beim Bäcker über Bundestrainer Christian Prokop und sein Team gesprochen. Hier haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.

War das in den vergangenen Jahren nicht so?

Frank Bohmann: Liga und DHB haben in den letzten Jahren sehr viel in den Ausbau der digitalen Kanäle und die Darstellung des Handballs investiert. Die Strategie ist nicht nur jetzt bei der EM aufgegangen. Liga und Verband stehen Schulter an Schulter für die sportliche, mediale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des deutschen Handballs und das ist schon ein wesentlicher Unterschied zu früheren Zeiten. Mit Mark Schober, dem von der HBL gekommenen Vorstandsvorsitzenden des DHB, wurde das Ganze schon noch mal auf ein ganz neues Niveau angehoben.

Apropos Niveau. Das DHB-Team wurde Fünfter, nach Platz 4 vor einem Jahr bei der Heim-WM. Wie bewerten Sie das Niveau der deutschen Nationalmannschaft?

Frank Bohmann: Mit Platz fünf stehen wir leistungsgerecht da. Ich sehe eine sehr positive Tendenz. Der deutsche Handball entwickelt viele Spieler in den HBL-Leistungszentren und der Anteil deutscher Spieler in 1. und 2. Liga nimmt weiter zu. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass letzte Puzzleteile dieses Mal noch fehlten.

Welche?

Frank Bohmann: Erst einmal schläft auch der Wettbewerb nicht und in Ländern wie etwa Portugal, Norwegen und Ungarn werden riesige Fortschritte in der Ausbildung von Top-Talenten gemacht. Es ist zudem zu konstatieren, dass im deutschen EM-Kader nur drei und durch die Nachnominierung von Golla vier Spieler von aktuellen Champions-League-Teilnehmern standen. In den Kadern von Spanien, Slowenien und Kroatien sah das ganz anders aus. Zweidrittel bis Dreiviertel der Spieler spielen in diesen Kadern in der Champions League. Da haben wir einen Rückstand, gerade auch auf den Positionen im Rückraum. Dies zeigt allerdings auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Liga. Unser Kader hat sich aus Spielern aus elf verschiedenen Klubs zusammengesetzt. Zudem hat sich gezeigt, dass nicht nur die internationale Erfahrung eine große Rolle spielt, sondern dass Teams, die schon lange zusammenspielen in kritischen Phasen oft die besseren Antworten haben. Auffällig ist, dass die Top-Teams im Durchschnitt immer älter werden. Das Durchschnittsalter aller Kader ist fast vier Jahre höher als noch vor zwölf Jahren.

Was leiten Sie daraus ab?

Frank Bohmann: Dass sich Spieler wie Martin Strobel und Steffen Weinhold für die Zeit der Olympischen Spiele 2024 in Paris nichts anderes vornehmen sollten. Wir werden sie dann brauchen. Spieler, die teilweise deutlich über 30 Jahre alt sind und um die 200 Länderspiele haben, waren jetzt bei der EM die, die gefragt waren, als es eng wurde.

Vor Olympia 2024 warten aber erstmal die Sommerspiele 2020 im Juli und August in Tokio. Dafür muss sich der DHB im April erst noch qualifizieren.

Frank Bohmann: Wir leben gerade in grandiosen Handball-Zeiten, diese Chancen müssen wir nutzen. Im besten Fall wird auch die Olympia-Qualifikation live in ARD und ZDF gezeigt. Die Spiele bei Olympia in Tokio sowieso. 2024 richten wir dann die EM aus. Auch diese wird live in ARD und ZDF gezeigt.  Zudem hat der DHB gute Chancen, den Zuschlag für die WM 2027 zu bekommen. Klappt das, dann würden wir möglicherweise auch 2023 die Junioren-WM in Deutschland ausrichten – und diese mit einer sehr starken Mannschaft - bestreiten. Dazu entwickeln sich die LIQUI MOLY HBL und die 2. HBL sportlich wie medial mit Ihren Partnern Sky, ARD/ZDF und Sportdeutschland.TV in ähnlicher Weise. Jedes Spiel kann in erstklassiger Qualität von den Zuschauern live oder auch als Highlight-Zusammenfassung bei unseren Partnern verfolgt werden. Kurzum: wir stehen vor riesigen Möglichkeiten.

Erwarten Sie wegen der EM steigende Zuschauerzahlen in der Liga, wenn die nun im Februar wieder startet?

Frank Bohmann: Bestimmt, aber unabhängig von EM oder WM im Januar ist das Interesse an der Liga im Februar immer sehr groß. Man darf nicht vergessen: wegen der jährlichen EM beziehungsweise WM verzichtet die Liga auf den aus Klub- und Zuschauerperspektive hochattraktiven und fußballfreien Spiel-Zeitraum um den Jahreswechsel. Das machen wir anders als beispielsweise die DEL oder die BBL. Auch stellen wir die Spieler nahezu unentgeltlich an 60 Tagen pro Jahr für die Nationalmannschaft ab, soviel wie in keiner anderen Profisportart. Aber wir sehen, dass sich dieses Opfer lohnt und wir alle von einer besonders starken Nationalmannschaft profitieren.

Kann die LIQUI MOLY HBL in Sachen Ausrichtung, Rahmen und Präsentation von der EM lernen?

Frank Bohmann: Vielleicht nicht direkt. Aber es fällt auf, dass sich die EHF (die Europäische Handballföderation) in den vergangenen Jahren erheblich professionalisiert und sehr positiv entwickelt hat. Die EHF verfolgt eine nachvollziehbare Wachstumsstrategie in einem sehr wettbewerbsstarken Umfeld. Medienverbreitung und Events sind auf sehr hohem Niveau und gemeinsam mit den großen nationalen Verbänden und ein paar wenigen professionellen Ligen wird der Handball weiter nach vorne entwickelt. Aber...

Aber?

Frank Bohmann: Aber ganz ehrlich – Konkurrenz belebt das Geschäft. Es wäre für den Handball gut, wenn es in Europa sechs bis acht weitere starke nationale Ligen geben würde. Aber das sehe ich aktuell nicht. Neben der LIQUI MOLY HBL hat derzeit nur die französische LNH noch ein hohes professionelles Niveau. Es folgen mit Abstand die 2. HBL, die skandinavischen Ligen und die spanische Asobal. Dahinter wird es mit professionellen Strukturen überschaubar. Hier hat der Handball einen riesigen Nachholbedarf.

Auf den Weg aus der französischen LNH in die LIQUI MOLY HBL macht sich im Sommer Sander Sagosen. Der norwegische Superstar wechselt vom französischen Topklub Paris zum THW Kiel. Wie wichtig ist das für die Bundesliga?

Frank Bohmann: Das ist überragend. Zu diesem Coup kann man den THW nur beglückwünschen. Aber durch die EM kennen nun auch nahezu alle deutschen Sportfans Kiels kroatischen Spielmacher Domagoj Duvnjak. Das ist das, was ich mit Mehrwert meine. Man muss noch viel mehr personalisieren. Diese neue Popularität von Duvnjak, aber auch von vielen weiteren der über 100 HBL-Spieler, die an der EM teilgenommen haben, müssen die Klubs noch viel stärker nutzen. Sport lebt von Emotionen und Gesichtern, und von denen haben wir die Allerbesten.