19.01.2020  Handball Europameisterschaft

Domagoj Duvnjak im Porträt: Nur der EM-Titel fehlt noch

Nach dem hochdramatischen 25:24-Zittersieg von Kroatien am gestrigen Samstag gegen Deutschland in Wien hatte Domagoj Duvnjak (31) vor lauter Erleichterung Tränen in den Augen. Denn nun ist greifbar, was für den DHB wohl unerreichbar bleibt: das Halbfinale der EM 2020. Kroatien war bereits Olympiasieger (1996, 2004) und Weltmeister (2003). Aber der EM-Titel fehlt noch in der Titel-Sammlung der stolzen Handball-Nation. Diese Lücke im Briefkopf nervt. Zumal diese so lange zurückliegenden Erfolge allmählich so genussbefreit wie der sprichwörtliche kalte Kaffee schmecken.

Und kalter Kaffee geht gar nicht. Schon gar nicht für Domagoj „Dule“ Duvnjak (31). Der bezeichnet Kaffee als „mein Hobby“, er ist ein wahrer Koffein-Junkie. Doppelter Espresso gilt bei dem Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft, seit 2014 beim Deutschen Rekordmeister THW Kiel unter Vertrag, als Grundnahrungsmittel. Und zwar morgens, mittags, nachmittags und am Abend. Wobei er einräumt, dass auch „Schlafen mein Hobby ist!“ Und man darf schon sagen: So sieht er manchmal auch aus.

Dabei sind tiefer Schlaf und starker Kaffee doch praktisch natürliche Gegner. Aber dieser Widerspruch ist typisch für Duvnjak, der auch gleichzeitig vorbildlicher Friedensfürst (privat) und fanatischer Vorkämpfer (im Sport) ist. Er bekommt beides in Einklang. Da er zudem mit einem überragenden Handball-Talent gesegnet ist, ist er im Gesamtpaket ein Nationalheld seines Landes – zudem Liebling seiner Trainer, Fixpunkt seiner Teamgefährten und seit Jahren ein Fanfavorit in der LIQUI MOLY HBL. Wie macht der Rückraumstratege das?

Das mag ein Spitzname erklären. Als er 2009 von RK Zagreb zum HSV Hamburg in die HBL wechselte, da nannte ihn der damalige HSV-Trainer Martin Schwalb alsbald „Duracell-Dule“. Weil er – wie von einer nimmermüden Batterie gespeist – einfach nie nachließ. Und selbst wenn er erschöpft war, er machte immer weiter: immer wieder über Schmerzgrenzen hinaus.

Duvnjak war der Wechsel nach Deutschland – in die auch damals schon stärkste Handball-Liga der Welt – so wichtig, dass er sogar einen Teil der Ablöse aus eigener Tasche bezahlte. „Es war immer mein Traum, in der HBL zu spielen“, sagt Duvnjak. Denn hier bekam und bekommt er das Rüstzeug, um auch in der Nationalmannschaft zur alles überragenden, tragenden Säule zu werden.

2013 hatte er den HSV zum Triumph in der Champions League geführt. Prestigeträchtiger Ritterschlag dafür: Er wurde zum Welthandballer 2013 ernannt. Bis heute kommen zwölf der insgesamt 23 ernannten Welthandballer aus der HBL. Keine andere Liga kann mit dieser Quote mithalten. Die LIQUI MOLY HBL ist ein Sammelbecken der Besten. Mit denen will sich Duvnjak messen. Immer noch. So hat er seinen Vertrag beim THW unlängst um zwei Jahre bis 2022 verlängert. In Kiel gehen sie davon aus, dass er dereinst dort seine Karriere beenden wird.

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Er wohnt im etwas edleren Stadtteil Düsternbrook. Zusammen mit seiner großen Liebe Lucija lebt er in einer lichtdurchfluteten Wohnung. Steht der Wind gut, kann man von dort die Sirenen der Schiffe hören, die auf der Kieler Förde unterwegs sind. Manchmal kommt seine Schwester vorbei, die mit Marko Kopljar von den Füchsen Berlin verheiratet ist. Auch der ist kroatischer Nationalspieler.

Die Duvnjak-Wohnung kennt aber vor allem auch Marco Vujin gut. Bis 2019 spielten beide gemeinsam für den THW, sind seitdem beste Freunde. Und genau diese Freundschaft macht Beide zu etwas Besonderem. Denn Vujin ist Serbe, Duvnjak Kroate. Nach dem Zerfall von Jugoslawien zersetzte Nationalismus den Balkan. Serben und Kroaten führten Krieg gegeneinander. Das wirkt bis heute nach. Aber Duvnjak und Vujin symbolisieren geradezu den Willen zu Toleranz und Miteinander. Anders gesagt: Es ist mutig, diese enge Freundschaft offen zu zeigen.

Ein enger Freund von Duvnjak ist zudem auch der kroatische Fußball-Superstar Mario Mandzukic (33). Der Top-Stürmer und amtierender Vize-Weltmeister (aktuell bei Al Duhail/Katar - einst VfL Wolfsburg, Bayern München, Juventus Turin) interessiert sich stark für Handball, ist vom Fach. Er bezeichnet „Dule“ als „den besten Handballer der Welt.“

Duvnjak muss zwar auch allmählich seinem Alter (und seiner sich selbst verschleißenden Spielweise) Tribut zollen, aber seine No-look-Pässe, seine Brillianz im Eins gegen Eins und seine Schlagwürfe gehören noch immer zu dem Besten was der Welthandball zu bieten hat. Als vorgezogener Mann im 3:2:1 gilt er nach wie vor als unerreichter Referenzpunkt in allen Handballarenen der Welt.

Duvnjak ist ein ausnehmend fairer Sportsmann. Nahezu grundsätzlich trifft er sich vor Spielen in Teamhotels mit Bekannten, Freunden oder Landsleuten aus dem Team des Gegners – zum Kaffee. So hält er es auch bei der laufenden EM.

Dabei wirkt er immer so harmlos, manchmal müde. Wie entkoffeiniert.

So kann man sich täuschen.

Domagoj Duvnjak im Steckbrief

Aktueller Verein: THW Kiel
Alter: 31
Position: Rückraum Mitte, Rückraum links
Größe:1,89 Meter
Wurfhand: rechts

Bisherige Vereine:
RK Dakovo (bis 2006)
RK Zagreb (2006 - 2009)
HSV Hamburg (2009 - 2014)
THW Kiel (seit 2014)

Erfolge:
Champions League Sieger 2013 (HSV Hamburg)
Welthandballer 2013
Deutscher Meister 2011 (HSV) und 2015 (THW Kiel)
DHB-Pokalsieger 2010, 2017 und 2019
DHB-Supercup-Sieger 2009, 2010 und 2014
EHF-Pokalsieger 2019
Kroatischer Meister 2007–2009
Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2012