07.12.2019  2. HBL

Lübeck entscheidet Krimi gegen Coburg für sich

Mehr Leidenschaft und mehr Emotionen gingen nicht. Nach einem packenden Spiel zwischen dem VfL Lübeck-Schwartau und dem HSC Coburg brachen in der „Hanse-Hölle“ alle Dämme. Mit 29:27 besiegte der VfL den als Tabellenführer angereisten HSC Coburg. In einer Partie auf Augenhöhe setzte sich am Ende die von Trainer Piotr Przybecki taktisch hervorragend eingestellte Lübecker Mannschaft durch. Coburg verliert nach der Pleite wieder die Tabellenführung an den TuSEM Essen.

An diesen Abend werden sich sicherlich alle 1.847 Zuschauer noch lange erinnern. Sie sahen ein Spiel, das alles zu bieten hatte, was den Handballsport so sehenswert macht.

Die Ausgangssituation des VfL war mäßig. Nach zuletzt zwei Unentschieden, die sich beide eher wie Niederlagen anfühlten, war das Selbstvertrauen nicht sonderlich groß. Zusätzlich wirkte der Kreuzbandriss von Mex Raguse aus dem letzten Spiel auch noch nach. Mit ihm fehlte den Lübeckern neben den Langzeitverletzten Pawel Genda und Nikola Potic ein weiterer Spieler, der für die einfachen Tore aus dem Rückraum verantwortlich sein kann. Gut, dass Jan Schult seine Rippenprellung überwunden hatte und auch Finn Kretschmers Bänderriss schneller verheilte als erwartet. Er nahm allerdings zuerst auf der Bank Platz. VfL-Trainer Piotr Przybecki: „Finn ist ein Kämpfer, der immer spielen will. Er hat mir beim Aufwärmen ein positives Signal gegeben und das habe ich dankbar angenommen.“

Zum Spiel: Der VfL startete gut, vor allem in der Offensive, die in der jüngeren Vergangenheit eher als Sorgenkind bezeichnet werden musste. Nach vier Minuten führten die Hausherren mit 3:1 und machten deutlich, dass der Tabellenführer auch am Nikolaustag keine Geschenke zu erwarten hatte. Auf die waren die Coburger auch gar nicht angewiesen. Sie setzten auf ihre gute Deckung und ihr schnelles Umschaltspiel und gingen in der 12. Minute erstmalig in Führung (4:5). Mehrere Zeitstrafen gegen die Lübecker begünstigten den Umschwung. Überraschender Weise war aber von einer Attitüde eines Spitzenreiters über 60 Minuten nichts zu spüren. Konsequenz: Der VfL arbeitete sich bis zur 20. Minute nach einigen Fehlern der Gäste wieder heran – 11:11, Thees Glabisch (mit acht Toren erfolgreichster Werfer im Spiel).

Dann aber stockte der Angriff des VfL und den Zuschauern der Atem. Dass Coburg in dieser Phase nicht (vielleicht schon vorentscheidend) davonziehen konnte, war der konzentrierten Abwehrleistung der Schwartauer geschuldet. Dennoch schien das Spiel seinen erwarteten Verlauf zu nehmen. Coburg zeigte Klasse und erlaubte dem VfL sieben Minuten keinen Treffer.

Erst in der 28. Minute küsste Thees Glabisch den VfL-Angriff mit einem verwandelten 7-Meter wieder wach – und mit diesem auch die Halle. Lediglich der Pausenpfiff unterbrach die Aufholjagd und beim Stand von 13:14 wurden die Seiten gewechselt. Zwischenfazit: Schwartau war nicht weit weg vom Spitzenreiter, brachte sich aber durch einige Flüchtigkeitsfehler immer wieder selbst um den Lohn der harten Arbeit. Das musste und sollte im zweiten Durchgang besser werden.

 

Schwartau kam gut aus der Pause und war auf einen erneuten Führungswechsel aus. Den Wechsel gab es aber vorerst in der 37. im VfL-Tor. Für den glücklosen, aber keinesfalls schlechten Marino Mallwitz stand nun zwischen den Pfosten Dennis Klockmann, der unter der Woche krankheitsbedingt etwas kürzertreten musste. Und der war sofort präsent, parierte zwei Torversuche der Coburger und sorgte dafür, dass Jan Schult (sechs Tore) die Führung für seine Farben zurückholen konnte (20:19, 39.). Als Dadi Runarsson das 21:19 erzielte, kochte die Hansehölle erstmalig phonetisch über. Der Tabellenführer schien angeknockt und der VfL ritt auf einer Welle der Emotionen. Gäste-Trainer Jan Gorr hatte Gesprächsbedarf. Auszeit.

Und die zeigte Wirkung! Mit drei Toren in Folge holte Lukas Wucherpfennig die Führung für die Coburger zurück. Er war mit sieben Toren auch gleichzeitig erfolgreichster Torschütze der Gäste. Sollte das Spiel erneut kippen? Wenn, dann erneut nur kurzzeitig! Tim Claasen und Martin Waschul erzielten mit ihren Treffern die erneute Führung (46.).

Das Spiel stand auf des Messers Schneide und die Nerven der Zuschauer wurden nicht geschont. Denn erneut fightete sich der Spitzenreiter in Front – und das nicht unwesentlich (23:26, 50.). Crunchtime. Diese hatte einen Namen: Dadi Runarsson! Er warf vier Tore in Folge und hatte damit maßgeblichen Anteil am stimmungsvollen Schlussakkord. Den entscheidenden Impuls aber gaben die beiden Unparteiischen. Beim Stand von 25:27 (53.) startete Finn Kretschmer einen Tempogegenstoß und wurde unsanft vom Coburger Marcel Timm gestoppt. Diese Aktion wurde aber nicht mit einem Siebenmeter für den VfL geahndet, sondern als Stürmerfoul gewertet. Was aber als Nachteil für den VfL begann, entpuppte sich als wesentlicher Erfolgsfaktor! Die Halle erhob sich und pfiff jeden Angriff der Coburger gnadenlos nieder – nicht zu verstehen als Aktion gegen die Gäste, sondern vielmehr als Reaktion auf diese unverständliche Entscheidung und als Zeichen der überragenden Unterstützung der eigenen Mannschaft. Danke Fans! Piotr Przybecki zum Stürmerfoul: „Es klingt paradox, aber als Spieler kann dir kaum etwas besseres passieren. So eine überraschende Entscheidung pusht die Fans und setzt Energien frei.“

Mit diesem unfassbaren Lärmpegel im Rücken gelang es der Mannschaft von Piotr Przybecki, der mit seinen taktischen Schachzügen immer richtig lag, noch einmal zurückzukommen. Runarsson zum 26:27 – Klockmann mit Parade vier – Runarsson zum Ausgleich – Klockmann mit Parade fünf – Bruhn zur Führung – Coburg wirft am Tor vorbei – Bruhn macht den Deckel drauf – Endstand 29:27 – der Jubel kannte keine Grenzen.

Und hielt auch auf der Pressekonferenz noch an – wohltuend nach zuletzt lauter werdender Kritik oder anders: der Wahnsinn! Die Trainer mit ihrer Sicht auf das Spiel, zuerst Jan Gorr: „Die erste Halbzeit ist schnell erzählt. Wir hatten Schwierigkeiten in der Deckung, die unser Angriff aber noch kompensieren konnte. So gehen wir mit einer knappen Führung von einem Tor in die Pause. Die zweite Halbzeit hatte unterschiedliche Phasen, mit Oberwasser für beide Seiten. Wir führen dann mit drei Toren. Das sah ganz gut aus, war aber trügerisch. Das Spiel war über 60 Minuten ausgeglichen. Die entscheidende Szene war das Stürmerfoul, das für uns gepfiffen wurde. <An die anwesenden Fans gerichtet> Nicht, dass Sie vorher nicht schon da waren, aber nach dieser Aktion war es noch schwerer, gegen diese unglaubliche Atmosphäre anzukämpfen. Sie hatten einen großen Anteil daran, dass wir in den letzten sieben Minuten kein Tor mehr geworfen haben. Und so kannst Du ein Spiel in Lübeck nicht gewinnen. Wir sind enttäuscht, aber ich beglückwünsche auch den VfL für das Spiel und die Fans.“

Piotr Przybecki mit seiner Sicht auf die Partie: „Die Szene mit Finn Kretschmer war auch für mich entscheidend. Allerdings war sie nur das Zünglein an der Waage. Wir haben in der Abwehr und im Angriff eine wahre Energieleistung abgeliefert, und die war nach den bekannten Rahmenbedingungen nicht unbedingt zu erwarten. Wir hatten einen negativen Lauf, viele Verletzte und mussten gegen den Tabellenführer antreten. Das zeigt, welchen Charakter die Mannschaft hat und dass wir noch enger zusammengerückt sind. Wir haben wieder eine starke Deckung gezeigt, wie auch schon gegen Aue und Rimpar. Nur im Gegensatz zu den beiden vorherigen Spielen haben wir uns diesmal auch im Angriff belohnt.“ Es war ein Fest!

Quelle: VfL Lübeck-Schwartau

Foto: Schaffrath